
Lernen erscheint zunehmend auf das eingeschränkt, was in der Vergangenheit gedacht und in theoretischen Vorstellungen zusammengefasst aufgeschrieben vorliegt. Das hier vorgefundene Denken nachzuvollziehen und zu bestätigen wird unglücklicherweise mit Verstehen gleichgesetzt.
Nichtverstehen ist in der Regel mit einer negativen Bewertung behaftet, und versetzt den Betroffenen fast automatisch in eine Stresssituation. Das allerorten gelehrte Schulwissen begnügt sich nämlich nicht damit, ein die Wirklichkeit überwiegend treffender Theorieentwurf mit gedanklicher Schlüssigkeit zu sein, sondern fordert darüber hinaus auch noch, von jedermann als verbindliche Wahrheit anerkannt zu werden.
Wer nicht versteht, stellt tatsächlich und wie ich denke auch zu Recht, diesen überzogenen Anspruch in Frage. Das im Nichtverstehen enthaltene Widerstreben, von Anderen erdachte theoretische Konstruktionen einfach zu übernehmen, erweist sich nämlich bei ernsthaftem Nachforschen zumeist als begründet. Gelerntes Wissen kann Verstehen erheblich behindern oder auch ganz unmöglich machen.
Die innere Logik und Verständlichkeit von Erkenntnissen ist auch nicht zwangsläufig der Grund für ihre Wirksamkeit. Viel mehr wohl die Möglichkeit, sie mit wirklichen Dingen und Verhältnissen in einen gerade passenden Austausch zu bringen. Ohne die Möglichkeit industriell zu produzieren wäre die heute so protzige Institution Wissenschaft immer noch das, als was man sie einst kannte: Ein Gelehrtenklub im Haus der Weisheit.
Waren sich die Erfinder innovativer Theorien über den problematischen Wirklichkeitsbezug ihrer Begriffsbildungen noch im Klaren, so kann das vom heutigen Lehrbetrieb nicht behauptet werden. Hier wird dem Lernenden die Kompliziertheit des Phänomens und die Fragwürdigkeit seiner Deutung durch die verengende Sicht analytischer Verfahrensweisen und abstrakten Begriffsbildungen regelmäßig vorenthalten, beziehungsweise verfälschend dargestellt. Kritische Anmerkungen zum Thema hört man allenfalls von angesehenen Wissenschaftlern im Altersruhestand.
Angeblich sind die Dinge so, wie wir sie denken. Genau besehen führen sie aber ein merkwürdiges Eigenleben, über das sie uns nur ausschnitthaft etwas mitteilen. Das Buch der Natur ist nicht eindimensional in der Sprache der Mathematik geschrieben, sondern wahrscheinlich in einem Gewebe verschiedenartiger räumlicher und materieller Strukturen, die ineinander verflochten sind, und sich weitgehend unserem Vorstellungsvermögen entzieht. Da erscheint es mir schon als ein glücklicher Umstand, wenn wir hier und da ein wenig davon enträtseln, und auf die Verbesserung unserer Lebenumstände anzuwenden verstehen.