
Sobald unsere Werkzeuge, Arbeitsgeräte und Material übersichtlich aufgebaut und angeordnet sind, können die Kinder ohne Einschränkung alles untersuchen, in die Hand nehmen und nach eigenem Ermessen davon Gebrauch machen. Indem sie sich auf dieses Angebot einlassen, wird ihnen auch sofort klar, dass sie nun die Verantwortung für ihr Ausprobieren und ihre Gedanken dazu selbst übernehmen müssen.
Dann zeigen wir nur hier und da ganz kurz, wo etwas fraglich ist, wie die Handhabung der Werkzeuge gedacht ist, ohne dass sie sich jetzt unbedingt daran halten müssten. Wenn jedes Kind eine Beschäftigung gefunden hat, wenden wir uns einer eigenen Arbeit zu.
Von nun an spricht allein die im Vorgefundenen enthaltene und von unserem Wollen und Denken ganz unabhängige tatsächliche Wirklichkeit zu ihnen. Dabei sind alle Dinge von uns so eingerichtet und angeordnet, dass die Kinder ohne Einweisung oder Vorbereitung versuchen können, ob sie damit zurecht kommen. Ganz gleich, was sie sich nun vornehmen, sie entscheiden sich zunächst für eines der Werkzeuge, und müssen nun eine seiner möglichen Handhabungen herausfinden und sich verständlich machen. Dieser Aufgabe widmen sie sich nun mit großer Ausdauer und auch schon bald mit Lust und Freude. Auf ihr ursprüngliches Vorhaben kommen sie vielleicht erst später wieder zurück.
In diesen Verlauf greifen wir nicht ein, denn es ist leicht zu sehen, wie sinnvoll sie ihre Versuche einrichten. Wenn nachgefragt wird, geht es nur um kurze Auskünfte, die sie mit dem vergleichen, was sie selbst schon herausgefunden haben. In Bezug auf die von ihnen entwickelte Verfahrensweise ist ja auch tatsächlich niemand kompetenter als sie selbst.
Um es kurz zu sagen, wir lassen jedem Kind sein aktuelles Ausprobieren so, wie wir es vorfinden. Es muss sich nicht mit den Vorstellungen anderer Personen auseinandersetzen, sondern kann sich ungestört erinnern und eigene Vorerfahrungen heranziehen, die zu dieser neuen Aufgabe in einer Beziehung stehen. Erst wenn sich ihre ganz persönliche Herangehensweise erkennbar herausgebildet hat, wird es möglich, auch von unserer Seite mit Hinweisen, wie es vielleicht auch gehen könnte, neue Anregungen zu geben, ohne das von ihnen selbs erarbeitete zu bewerten.
Dieser wünschenswerte Ablauf wird sich aber nur dann in der den Kindern so förderlichen Leichtigkeit geradezu von selbst einstellen, wenn eine Reihe von Fehleinschätzungen, die sich in unser Verhalten den Kindern gegenüber gewohnheitsmassig eingeschlichen haben, von uns klar erkannt werden.
Als Erstes ist der Maßstab richtig/falsch auf das, was die Kinder hier unternehmen, nicht anwendbar. Jede Idee, wie man es machen könnte, ist einen Versuch wert, und verschafft bei Nichtgelingen die Gewissheit, dass es so aus bestimmten Gründen nicht geht. Darin sind nun auch vielleicht schon Hinweise gegeben, was man als nächstes versuchen könnte. In dieser Weise dient das Nichtgelingen der Annäherung an einen gangbaren Weg. Auf der anderen Seite gibt es auch nicht nur eine richtige Handhabung, sondern eine ganze Reihe ebenso gut brauchbarer Varianten.
Bei nur erdachten Aufgabenstellungen gibt es einen Urheber, der festgelegt hat, was als einzig Richtiges gelten soll. Gegenüber der tatsächlichen Wirklichkeit stellen wir uns die Aufgaben selbst, und müssen auf einem Weg der Verständigung mit den Dingen versuchen, das Beabsichtigte zu erreichen. Was die Kinder dabei zu schätzen lernen, ist die Verlässlichkeit des Materialwiderstandes, dem sie hier mit ihrem Wunsch zu verändern begegnen. Deshalb finden sie auch früher oder später heraus, wie es für sie zu machen ist und sind mit ihren Bemühungen erfolgreich.
Was den Kindern dagegen beim gewohnten Unterrichten begegnet, ist von Fachleuten für Wissensvermittlung vorstrukturiert. Der Inhalt, die formale Einordnung, die Methode der Vermittlung, die beabsichtigte erzieherische Einflussnahme und zuletzt noch die Erfolgskontrolle. Die Lenkungsabsichten der Erwachsenenwelt sind allgegenwärtig.
Wir machen nun genau das Gegenteil. Wir haben ernsthaft nichts vor mit ihnen. Hier können sie einmal einfach nur sein. Sich selbst und die unmittelbare Wirkung ihres Tuns in dieser überschaubaren sinnhaften Arbeitswelt entdecken. Sie sehen sich um und bemerken wie selbstverständlich andere Kinder mit ihren Werkzeugen hantieren und schon haben sie auch eine Idee.
Einige Kinder, vor allem wenn sie hier schon einmal gearbeitet haben, stürzen sich förmlich auf die Werkzeuge und brennen darauf, endlich wieder etwas Richtiges zu arbeiten. Andere brauchen eine Weile, bis sie sich entschließen, es auch zu probieren, und diese eigene Entscheidung warten wir immer ab. Von da an gibt es für sie nur noch diese ganz persönliche Auseinandersetzung mit Material und Werkzeug. Eine höhere Instanz als ihre eigene Erfahrung gibt es in dieser Situation für sie nicht. Was andere darüber sagen und wissen ist nebensächlich. Die Überzeugungskraft von Erfahrung hat ihren angestammten Platz eingenommen.

Wenn wir die Kinder nun weiter auf ihrem eigenem Weg des Probierens und Verstehens begleiten, fällt auf, dass sie im Zusammenhang mit praktischer Arbeit an der Bewertung von Können und Leistung überhaupt kein Interesse haben. Einen Gebrauchsgegenstand herzustellen ist für sie etwas ganz Wichtiges, aber weder die Ergebnisse noch das dazu notwendige Können wollen sie untereinander bewertet wissen. Vielmehr haben sie den starken Wunsch, andere Kinder am Gelungenen teilhaben zu lassen. Manchmal wollen sie auch in einer Zweiergruppe arbeiten und sich austauschen. Aber das Interesse und die Freude an der Sache selbst steht zumeist an erster Stelle, die soziale Bezogenheit ist eher nebengeordnet. Können als Ziel berührt sie wenig, und es gibt auch kein Anzeichen für den Wunsch, anderen überlegen zu sein.
In der Art und Weise, wie sich die Kinder gegenseitig helfen und sich austauschen, zeigt sich eine weitere Besonderheit ihres Verhaltens in der Kinderwerkstatt. Sie belehren sich nicht gegenseitig und sagen: Du musst das Werkzeug so halten, dann geht es. Für sie ist klar, jeder sieht es anders, jeder macht es anders. Ein offenes Geheimnis ihrer kleinen Gemeinschaft, das jedem, der dazu stößt, ungesagt vermittelt wird.
Erfahrungen zu verallgemeinern und Regeln davon abzuleiten ist deshalb nicht hilfreich, weil sich die weiterführenden Gedanken und Lösungen viel einfacher und zuverlässiger aus dem praktischen Tun heraus ergeben. Aus dem Erlebten ein verbindliches Wissen herauszufiltern, macht keinen Sinn. Jedes Kind, das gearbeitet hat, weiß es für sich genauer, hat neue Möglichkeiten des Handelns entdeckt und seine Weltaneignung wieder ein Stück weit fortgeführt.
An der auffälligen Unbeschwertheit und Selbstverständlichkeit mit der Kinder unsere Werkzeuge und Gerätschaften gebrauchen, hat auch die Art, wie wir die Arbeitsprozesse vereinfachen, einen wesentlichen Anteil. Es ist nicht so, dass wir ihnen weniger zumuten, weil sie ja nur Kinder sind und erst noch lernen müssen, sachgemäß mit den vorhandenen Dingen umzugehen. Unsere Vereinfachung zielt darauf, alle nebensächlichen Bezüge erst einmal beiseite zu lassen und in erster Linie das unvermeidlich Schwierige an Dingen und Abläufen in der denkbar einfachsten und klarsten Form den Kindern zum Ausprobierent anzubieten.
Alle unsere Werkzeuge, Gerätschaften und Materialien, die wir selbst entwickeln und herstellen, und ebenso der Zusammenhang, in dem wir sie bei unseren Veranstaltungen den Kindern zur Verfügung stellen, stehen unter dem Anspruch, dass sie als dingliche Gegebenheiten die Stelle eines guten Lehrers einnehmen können.
Zum Glück wissen die Kinder eine anregende unverstellte Wirklichkeit anzuerkennen und zu schätzen, auch wenn diese hart, unerbittlich und schwer zu meistern ist. Ermutigt werden sie, wenn wir zeigen, wie Dinge, die als sehr schwierig und anstrengend gelten, auch leicht zu machen sind und auch von ihnen entgegen allen Erwartungen ganz gut zu bewerkstelligen sind. In der Regel nehmen sie die vielen neuen Dinge sehr leicht und flüssig in ihre Vorstellungswelt auf. Wenn es dagegen ernsthaft klemmt, brauchen sie aber auch unbedingt ein helfendes Eingreifen, bis ihr Schiffchen wieder Fahrt macht. Die im Augenblick tatsächlich erlebte Wirklichkeit verschafft ihnen Anregungen im Überfluss. Sie müssen nur das gerade Passende herausfinden.
Wichtig erscheint uns, jedes Kind vor dem Hintergrund seines alltäglichen Lebens und seiner Bindungssituation zu sehen, auf aktuelle persönlichkeitsbedingte Bedürfnisse zu achten und all das als gesonderte Umstände in unserem Verhalten ihnen gegenüber zu berücksichtigen.
Der bedeutendste Grund, weshalb diese aus unserer Sicht so wünschenswerte Arbeit mit Kindern überhaupt verwirklicht werden kann, verdanken wir dem Umstand, dass gedankliche und körperliche Aktivität bei ihnen sehr dicht ineinander verwoben erscheinen. Bei allem was sie tun und wahrnehmen läuft gedankliches Strukturieren und sinnliches Eindringen in die Beschaffenheit der Dinge und Verhältnisse gleichzeitig nebeneinander her. Die von ihnen aus einer inneren Notwendigkeit heraus entwickelten Schritte des Verstehens fügen sich individuell und sinnvoll ganz von selbst zusammen.
Dass ein auf wissenschaftliche Erkenntnisse gebautes Lenkungskonzept, wie es im Schulunterricht praktiziert wird, dem Weltverständnis der Kinder förderlich ist, ihre Lernfähigkeit verbessert und alles von ihnen selbst erfundene Nichts taugt, ist Lehrirrtum der Erziehungswissenschaften und dient der Rechtfertigung sachlich unsinniger Bildungs-und Erziehungspläne. Angeblich können Kinder ohne Lernprogramm und umfassende erzieherische Lenkung von sich aus keine praktikablen gedanklichen Einsichten und intelligente Verhaltensweisen entwickeln. Würden Eltern den Unfug solcher Glaubenssätze aktueller Schulbildung bedenken, auch in Rückbesinnung auf die Erfahrungen aus eigener Kindheit, würde das unseren Kleinen, die in dieser Sache ganz allein stehen, sicher sehr entgegenkommen.