Am Anfang unserer Variante von Kinderwerkstatt stand nicht mehr, als die wechselseitige Inspiration zwischen der Art des Angebots und in diesem Fall einmal zufällig getroffenen Erwartungen der Kinder. Mein eigenes Interesse an der technischen Wirkungsweise und exzellenten Handhabung einfacher Werkzeuge stieß auf den heißen Wunsch der Kinder, das schon lang vorgestellte Sägen, Schnitzen, Hämmern und Löcher bohren an einem ordentlichen Holzstück endlich einmal auf eigene Faust ausprobieren zu können.
Mir schien es dabei, als ob hier ein dringendes Bedürfnis nach produktiver Betätigung zunehmend aufgestaut worden wäre, weil im täglichen Erlebnisumfeld der Kinder durch ausufernde Mechanisierungswut ihre eigenen Gedanken und Vorschläge nicht mehr zum Zug kommen können. Das ihnen per Bildschirm angebotene virtuelle Miterleben konnte das von den Kindern so sehr vermisste Gemüseschneiden mit Mutti in der Küche offenbar nicht ersetzen. Durch das Angebot der Kinderwerkstatt entstand in der sonst so zuverlässig hemmenden Sammlung vorgefasster Meinungen – Kinder wollen nur spielen/ dafür seid ihr noch zu klein – für ihren Drang nach Ausprobieren und produktivem Schaffen eine Lücke, durch die unsere Kleinen nun heftig nachdrängten.
So waren es eben in erster Linie auch die Vorschläge und Unternehmungen der Kinder welche, die Weiterentwicklung dieser Beschäftigungsmöglichkeit in den ersten Jahren vorangetrieben hat. Ich selbst nun als nicht nur Beobachter, sondern erfindend Mitwirkender, erhielt auf diesem Weg Einblicke in die Dynamik ihres aufmerksam gespannten Tuns und dessen Vorwegnahme in eigenwilligen, häufig sehr gut passenden Vorstellungen. Und unter den immer weniger hemmenden Bedingungen für ihr wachsendes Verstehen schien mir der Prozess des Hineinwachsens in die Gesellschaft auch weniger von Nachahmung und Anpassung an Vorgefundenes bestimmt, als von bemerkenswert originellen Ideen und Handlungsweisen.
Nun wird ja die Existenzberechtigung der Institution Schule mit der Begründung aufrechterhalten, der ganze Umfang unseres Kulturgutes müßte den nachfolgenden Generationen auf diesem Weg „übertragen“ werden, sonst würde es nicht beachtet und ginge verloren.
Davon kann aber mit Rücksicht auf die hier genannten Erfahrungen nicht die Rede sein. Was sprachlich ausgedrückt werden kann ist aufgeschrieben und gut dokumentiert. Ein zumindest gleich großer Teil unseres kulturellen Erbes entzieht sich aber der Verschriftlichung und bleibt der spontanen Entdeckung von Jedermann vorbehalten. Kein Menschenkind ist uninteressiert etwas zu wissen oder herauszufinden. Nur ist eben aus erkennbaren Gründen die Übertragung durch Lehren und Lernen sehr viel unzulänglicher als es unterstellt wird. Und hier liegt das Problem? Auf die dafür verantwortliche Fehlorientierungen des schulischen Unterrichtens geben uns die Kinder selbst leicht zu verstehende Hinweise.
Indem sie nämlich Erstens nichts mehr wünschen, als alles selbst herauszufinden und sie es aufrichtig anerkennen, wenn wir uns in ihre Versuche und Anstrengungen so wenig als nur möglich einschalten. Diese Forderung weist hin auf etwas, wofür die Kinder durch Erfahrung hochsensibel geworden sind. Alle Einstellungen der Erwachsenenwelt zu ihren Unternehmungen scheinen unausweichlich mit sachfremden Absichten verbunden zu sein, die immer wieder störend auf ihre Bemühungen einwirken. Und damit haben sie unbestreitbar Recht.
Für die Kinderwerkstatt war es nicht so schwer, ihnen in dieser Hinsicht Genüge zu tun. Wir haben die Lenkung der Wirklichkeit selbst überlassen; Werkzeuge, Gerätschaften und Material sprechen für sich.
In der Schule sieht die Sache ganz anders aus. Die enge Verknüpfung von Lernen und Erziehen hat nicht nur Tradition, sondern sie ergibt sich auch immer wieder neu aus der aktuellen unterrichtlichen Wissensvermittlung im großen Gruppenverband mit Lehrplänen und standardisierten Leistungsforderungen. Es sind nicht nur die offen erzieherischen Zielsetzungen und Maßnahmen, mit denen man es hier zu tun hat, sondern die Lerninhalte selbst sind mit Lenkungsabsichten durchsetzt. Diese als hemmende Begleiter zu erkennen, die eigentliche Verständnisfrage wieder herauszulösen und in den Mittelpunkt des Interesses zu stellen, das würde vom Lehrpersonal geradezu Unmögliches verlangen. Zumal es dem Auftrag der Institution vollkommen zuwider läuft,
Ein Zweites ist die ablehnende Haltung der Kinder gegenüber der allgegenwärtigen Forderung, eigene Gedanken stets als dem anerkannten Wissen gegenüber als nachgeordnet zu betrachten. Für sie gibt es vom Anfang ihres Lebens an erst einmal nichts anderes als persönlichkeitsbedingte Vorstellungen, Gedanken und Handlungsweisen. Was sie seitdem noch ganz im Verborgenen und unkontrolliert erschaffen haben, das ist im besten Sinne die Grundlage ihres bisherigen intelligenten und erfolgreichen erfinderischen Verhaltens. Und nun fordert die Erwachsenenwelt, das von ihnen schon Geleistete als nur von geringerem Wert zu erachten, und überredet sie, es durch ein allgemein gültiges, unpersönliches und angeblich besseres Wissen zu ersetzen. Auch mit diesem Widerstreben sind die Kinder im Recht.
Und als Drittes wird es besonders von den Schulkindern, die sich mit Werkstattarbeit ausprobieren als befreiend empfunden, sich hier einmal ganz unbehelligt von übergeordneten Zielsetzungen der Lösung einer praktischen Aufgabe widmen. Im Vorbeigehen betrachtet eine scheinbar anspruchslose Selbstverständlichkeit. Aber die Art, wie sie es aufnehmen zeigt, wie rar und wertvoll ihnen eine solche Erfahrungsgelegenheit schon geworden ist. Hätten Kinder genügend Spielraum, um in Fortführung ihrer selbst erfundenen Vorgehensweise praktische Probleme zu bearbeiten, so würde ganz von selbst in ihrer Erinnerung ein Schatz an Vorstellungen und eigenen Lösungswegen entstehen, der ihnen auch dort gute Dienste leistet, wo es um mehr abstrakte Dinge geht. Im Gegensatz zu nur Gelerntem steht ihnen der Rückgriff auf das wirklich selbst Erfahrene ja als stiller Helfer auch jederzeit zur Verfügung.
Hätten die Kinder Worte und Begriffe für all die Bedrängnisse denen sie ausgesetzt sind, würden sie uns sicher eine umfangreichere Liste vorlegen, und uns ordentlich Bescheid geben. Ihr Widerstand gegen ungerechte Behandlung durch Lehrpersonen, und allerhand schräge Gewohnheiten, die bei uns aus den leidigen Belehrungen der eigenen Schulzeit noch nachwirken, zeigt aber indirekt, wo sie sich etwas besseres wünschen und vorstellen können.